Heute werden das erste mal Menschen aus der Synagogen im Zeugenstand sprechen. Wir Berichten auch heute weiter aus dem #HalleProzess.
Mit den Worten „… if I would have walked out a few minutes later, I wouldn’t be here today.“ beginnt die erste Aussage im heutigen #HalleProzess.
Die Aussagende war am Tag des Anschlags für einen kurzen Spaziergang aus der Synagoge herausgetreten und befand sich während des Anschlags in einem Park in der Nähe. Immer wieder macht sie klar „We didn’t let this ordeal destroy our holy day”.
Auf die Frage, ob sie nach dem Anschlag in die USA zurückkehren würde, lautete ihre Antwort „This is the reality of the world and also the USA“
Als sie beschreibt wie ihr Vater, ein Überlebender der Shoa sie jedes Jahr vor Yom Kippur segnet, ist ein Großteil des Gerichtssaal sehr ergriffen. Sie endet mit den Worten „This will end today. He will not cause me any more pain…“.
Eine zweite Zeugin kam auch mit der Base-Berlin-Gruppe nach Halle. Sie berichtet eindrücklich vom Geschehen in der Synagoge und wie sie den Tag erlebte. Dabei kritisierte sie auch die fehlende Kommunikation der Polizei mit den Betroffenen in der Synagoge.
So herrschte bei den Menschen eine große Unsicherheit und die Evakuierung sowie die Abfahrt mit dem Bus zog sich über einen langen Zeitraum. Im Bus waren die Betroffenen zudem nicht vor Presse und Photograph*innen abgeschirmt.
Auch bei der Personalienaufnahme war Presse im Umfeld der Personen. Des Weiteren schilderte die Zeugin, dass der erste Polizist/SEK-Beamte so gekleidet war, wie der Täter in den Medien beschrieben wurde.
Die Zeugin half am Tattag anderen Betroffenen, indem sie für andere Betroffene dolmetschte. Sie betont die Selbstorganisation der Base-Gruppe bei der Verarbeitung des Anschlages.
Sie beschließt ihre Aussage mit einem Statement, indem sie betont, dass jüdisches Leben schon mehr durchgemacht hat. Zudem nimmt sie nochmals großen Anteil an dem Tod von Jana L. und Kevin S.
Jeremy Appelbaum Borovitz löst die Verwirrung der Richterin über seinen zweiten Vornamen mit dem Kommentar auf: „Appelbaum is my middle name. It is my mothers name and she is a feminist”. Danach richtet er sich direkt an die Richterin, ob sie noch Fragen zu Yom Kippur hat.
Er erklärt dann die Bedeutung des Feiertages. Offensichtlich waren viele dieser Informationen neu für das Gericht. Er beschreibt das Geschehen in der Synagoge aus seiner Wahrnehmung und spricht der jüdischen Gemeinde Halle seinen Dank aus: „I have to say that the actions of the community in Halle were heroic on that day.”
Sein nächster Dank gilt auch seiner Babysitterin. Sie hat ihn an diesem Tag unglaublich unterstützt. Aber er merkt auch an, dass dieser Tag für sie sehr traumatisierend war und sie Deutschland verlassen hat.
Vor der Synagoge fällt ihm eine katholische Nonne auf. Im Bus erfährt er, dass diese als Seelsorgerin dort ist. Er weist darauf hin, wie unsensibel das ist.
Besonders durch die katholische Kirche waren viele Jüdinnen und Juden unter Druck gesetzt worden, ihren Glauben abzulegen und wurden verfolgt.
Immer wieder beschreibt er surreale Erlebnisse mit der Polizei. Das Essen für das Fastenbrechen konnten sie nur unter großer Anstrengung mit aus der Synagoge nehmen.
Als er dann mit dem Reisekoffer in den Bus einsteigen will, hindert ihn ein Polizist und zwingt ihn, das gesamte Essen noch einmal in kleinere Tüten zu verpacken. Immer wieder wird er eher als Verdächtiger behandelt und die Polizei zeigt sich unkooperativ.
Als sie endlich in Sicherheit im Krankenhaus sind und die Gebete von Yom Kippur abschließen wollen, wird dies von der Polizei unterbrochen.
Nur auf Einwirken des Krankenhauspersonals konnte verhindert werden, dass das Gebet durch die Polizei komplett abgebrochen wurde. „We where in a hospital and had two Germans discussing our fate“.
Der letzte Zeuge heute aus der Synagoge berichtet davon, dass er durch seine Arbeit mit jüdischen Jugendgruppen sehr vertraut mit Sicherheitsmaßnahmen ist. Zur Realität dieses Jobs in Deutschland gehört, dass er diese Schulung jedes Mal machen müsse.
Er konnte direkt reagieren und begann die Menschen in den hinteren Gebäudeteil zu bringen. Danach verbarrikadierte er die Türen und beobachtete über einen Bildschirm das Tatgeschehen. Darauf konnte er sehen wie der Täter Dinge über die Mauer warf.
Vor allem bei den älteren Jüdinnen und Juden bemerkte er eine Fassungslosigkeit. Viele waren aus Russland vor Repression geflohen. Nachdem der Täter nicht mehr auf dem Kamerabild zu sehen war und trotz der unklaren Situation, setzten sie das Gebet fort.
Auch er erlebte an diesem Tag nicht, dass die Polizei ihm gegenüber respektvoll und sorgend auftrat. Auf der Wache wurde wiederholt nach seinem Ausweis gefragt und die Beamten konnten nicht verstehen wieso er diesen nicht dabei hatte.
Nach einer unpersönlichen Behandlung durch die Beamten wurde er nach einer langen Wartezeit einfach vor die Tür gesetzt. Aus religiösen Gründen führte er kein Geld und festes Schuhwerk mit sich. So stand er wortwörtlich auf einmal allein im Regen.
Nach dem Anschlag hat er mit seiner Entscheidung in Deutschland zu leben gehadert. Nachdem er an dem darauf folgenden Shabbat die Menschenkette vor der Synagoge gesehen hat, konnte er wieder Hoffnung schöpfen.
Die Vernehmung der BKA Beamtin brachte keine weiteren Erkenntnisse.
Als Abschluss dieses Tages wurde das Video der Überwachungskamera vor der Synagoge in Augenschein genommen.
Darin konnte man erkennen, dass der Täter sich 7 Minuten lang ungestört vor der Synagoge bewegen konnte und die erste Streife nach 12 Minuten eintraf.
In dem Video sieht man auch wie mindestens 12 Personen (in Autos oder auf dem Fahrrad) an dem leblosen Körper von Jana L. vorbeifahren.
Nach Eintreffen der Polizisten*innen prüfte niemand den Zustand von Jana L. Niemand beugt sich zu ihr herunter und versucht erste Hilfe zu leisten. Gegen die Polizistin läuft bereits ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung.
Das Gericht hat den Nebenkläger*innen heute sehr viel Raum gegeben den Prozess mit zu gestalten. Jedoch trat es bei einigen Nachfragen belehrend und unsensibel auf. Es zeigt sich häufiger, dass viele am Prozess Beteiligten keinen Begriff von Antisemitismus haben.
Durch die Aussagen der Betroffenen und dem Zuspruch aus dem Publikum hatte der Prozess heute viele empowerende Momente. Vielen Dank an die Nebenkläger*innen für die starken Statements.