Heute werden im #HalleProzess weitere Betroffene aus dem Kiez-Döner und der Synagoge sprechen. Auch heute werden wir in den Pausen hier weiter berichten. Es ist weiterhin sehr wichtig, dass wir ihren Stimmen viel Aufmerksamkeit geben.
Ezra Waxman wurde dazu zu seiner Motivation Teil der NK zu werden interviewed: „Coming from a family of Holocaust survivors, I often found myself pushing back against certain inter-generational traumas and fears which had clearly been shaped by antisemitism. And now I find myself in a situation where antisemitism has shaped my first year living in Germany quite significantly.“
Als erstes sagt heute Kevins Vater im Prozess aus. Der Vater schildert zunächst Kevins Lebenslauf: Kevin hatte es zu Beginn aufgrund einer Behinderung nicht leicht. Trotzdem entwickelte er sich positiv, wie der Vater betont, weil er immer selbst kämpfte.
Kevin war es immer wichtig in der Schule voranzukommen. Kevin und die Familie freute sich daher sehr zum 1.10.2019 die Ausbildung in einem hallenser Malerbetrieb anfangen zu können. Zuvor hatte er dort bereits Praktika gemacht.
Kevins Vater sagt: „Dass er es auch geschafft hat Arbeit zu bekommen; Maler war sein Traumjob.“
Er schildert Kevins Liebe zum Fußball und dem HFC. Er besuchte jedes Spiel und wurde von der Fangemeinde willkommen geheißen und unterstützt. Mit seiner Fangruppe besuchte er auch ohne die Unterstützung seiner Eltern viele Auswärtsspiele.
„Wir hatten eigentlich keine Angst mehr das ihm etwas passiert“, beschreibt der Vater das Vertrauensverhältnis zu der Fangruppe.
Die Ausbildung ermöglichte ihm auch selbstverständig Karten für die Fußballspiele zu kaufen. Diese sammelte er alle und archivierte sie. Sein Vater drückt immer wieder aus wie stolz er auf seinen Sohn ist.
Anschließend spricht eine Zeugin aus der Synagoge. Sie war in Halle, um die jüdische Gemeinde an Yom Kippur zu unterstützen. Zu Beginn ihrer Aussage betonte sie, dass sie das Gebet sehr berührend und innig fand.
„Ich finde es schön zu sehen, wie jüdisches Leben in Deutschland wächst. Das sollte nicht durch solche Taten gestört werden und das wird es auch nicht.“
Sie spricht davon dass ihre Familie nach dem 2. Weltkrieg in die USA auswanderte.
„Wir sind mit den Geschichten der Shoah aufgewachsen, aber die waren für mich immer nur schwarzweiß. Für mich wandelten sich diese Bilder nun in Farbe.“
Sie kritisiert das Handeln und die fehlende Kommunikation vonseiten der Polizei. So wurden ihre Taschen durchsucht ohne dass es Schutz vor der Öffentlichkeit gab. „Ich habe mich wie ein Objekt gefühlt.“
„Die Gefahr, die uns begegnet, ist nicht nur eine deutsche Gefahr. […] Wenn wir diese Gefahr nicht ernst nehmen, ist dieser Prozess bedeutungslos.“
Sie kritisiert weiter, dass die Verbindungen zu anderen rechten Terroranschlägen wie bspw. in Christchurch oder Poway von den Ermittlungsbehörden nicht gezogen werden. Stattdessen wird die Tat isoliert und als von einem Einzeltäter begangen gesehen.
Auch fragt sie sich wie es möglich sein kann, dass die Nachforschungen der Ermittlungsbehörden keine Informationen zu Tage fördern, Seiten wie halle.nsu-watch.info aber relevante und detaillierte Informationen zusammentragen.
„Ich frage mich warum das BKA so wenig Interesse hat.“
Abschließend fragt sie: „Wollen wir das, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Menschen dafür umgebracht werden, dass sie braune Haare haben oder in einem Dönerladen essen? Ist das eine Gesellschaft, in der wir leben wollen?“
Nach einer kurzen Pause schildert ein weiterer Zeuge aus der Synagoge seine Wahrnehmungen des Anschlags. Trotz der Situation half ihm die Ruhe der anderen Gemeindemitglieder selbst ruhig zu bleiben.
Der Gottesdienst wurde daraufhin fortgeführt. Er berichtete daraufhin den Ablauf der einzelnen Gebete an Yom Kippur. Ein Teil eines Gebetes thematisiert das Motiv des Sündenbocks.
„Denn ich glaube, dass der Antisemitismus im Kern sich mit der Kunst des Sündenbock-Findens beschäftigt.“- keine Verantwortung für seine Taten zu übernehmen.
Er spricht davon, dass er während und nach dem Anschlag nicht so recht dessen Tragweite realisierte. Der Prozess und die Erfahrungen der anderen Betroffenen machten ihm die große Herausforderung der Auseinandersetzung mit dem Anschlag bewusst.
Er selbst möchte jüdischen Glauben und jüdische Kultur kreativ leben, etwa durch die hebräische Sprache oder die jiddische Kultur. Antisemitismus empfindet er dabei als „lästige Ablenkung“.
Als Vorbild sieht der Zeuge seine Großmutter, welche die Shoa und den 2. Weltkrieg überlebte. Sie vermittelte ihm den Wert des Lebens, den sie aus dem Verlust und dem Leid gelernt hatte. Die Lehre des „Heiligtum des Lebens“ möchte auch er verbreiten.
Anschließend sagt R. Tekin, der zum Zeitpunkt des Anschlags im Kiez-Döner war, aus. Dieser lebt bereits sein 5 Jahren in Halle und arbeitete zum Zeitpunkt des Anschlags bereits 2 Jahre im Kiez-Döner.
Er bediente gerade einen Kunden, als er den Attentäter sah und wahrnahm, wie dieser einen Sprengkörper neben den Kiez-Döner warf. Anschließend schoß der Attentäter auf die Scheibe des Geschäfts, woraufhin sich R. hinter dem Tresen verbarg.
Als er in seinem Rücken hörte „Bitte nicht, bitte nicht.“, floh er in das gegenüberliegende Restaurant, wo er seinen Bruder anrief. Anschließend nahm er den Schusswechsel zwischen dem Attentäter und den Polizisten wahr und sah, dass der Attentäter in Richtung Synagoge floh.
Seit dem Anschlag fällt es ihm schwer den Kiez-Döner zu betreten. Er hofft darauf, dass der Attentäter seine gerechte Strafe erhält.
Zuletzt spricht İsmet Tekin, welcher den Kiezdöner wenige Minuten bevor der Attentäter dort seinen zweiten Anschlag begann, verließ. Durch einen Anruf von seinem Bruder erfuhr er vom Anschlag, woraufhin er aus Sorge um seinen Bruder und die Gäste zum Anschlagsort zurück lief.
Er sah noch den Attentäter und beobachtete einen Schusswechsel zwischen ihm und der Polizei, konnte sich selbst aber in Deckung bringen.
Nachdem er den Attentäter wegfahren sah, lief er in den Kiez-Döner, um nach Verletzten zu suchen. Daraufhin fand er den getöteten Kevin S. hinter einem Kühlschrank.
In den nächsten Stunden wartete İsmet Tekin in einem nahegelegenen Restaurant. Als er feststellte, dass es ihm nicht gut ging und er ärztliche Hilfe aufsuchen wollte, wurde ihm von den anwesenden Polizist*innen kein Ausgang gewährt.
„Ich habe in 4 Sprachen keine Worte dafür gefunden, um die Tat zu beschreiben. Aber für den Täter habe ich ein Wort gefunden: Er ist ein Feigling.“
„Kevin und Jana sind nicht umsonst gestorben. Sie sind vielleicht nicht körperlich hier, dafür aber in unseren Herzen.“
In weiteren Einlassungen hält Tekin unter anderem fest, dass es ihn ärgerte, anfangs nicht als NK zugelassen worden zu sein. Auch wenn er nicht gleichzeitig mit dem Täter im Imbiss war, war sein Leben ebenso gefährdet, da er sich in unmittelbarer Nähe zum Tatort befand und der Täter es auch auf ihn abgesehen habe aufgrund seiner dunkleren Haut- und Haarfarbe. Das Gericht solle anerkennen, dass der Attentäter auch ihn töten wollte.
„Deutschland ist in Vielem vorbildlich, aber warum fällt es dem Land so schwer, etwas gegen solche beschämenden Taten zu unternehmen?“
Er bedankt sich allerdings bei den Menschen die ihn unterstützen und sich mit ihm solidarisch zeigen: die @opferberatung, die Kiez-Döner-Soligruppe und weitere Einzelpersonen.
Gegen Ende von Tekins Einlassungen, fällt ihm RA Weber, einer der Verteidiger des Attentäters, ins Wort und hinterfragt denn Sinn von Tekins Einlassungen innerhalb des Verfahrens, da dieser nicht als NK im #HalleProzess zugelassen sei.
Daraufhin gibt es Widerspruch von RA Özata, sein Mandant sei NK und habe das Recht genauso ausführlich wie alle NK von seinem Aussagerecht Gebrauch zu machen.
Die Sitzung ist damit beendet. Wir berichten morgen wieder in den Pausen vom #HalleProzess.
Vielen Dank auch heute wieder an die Menschen die eine Kundgebung vor dem Landgericht organisiert haben.