Die Kontinuität der Verweigerung der Auseinandersetzung mit Rassismus offenbart eine Kontinuität der Herrschaft
Die Kontinuität der Verharmlosung rassistischer Einstellungen und Ausschreitungen, die sich im Umgang der staatlichen Behörden mit den Morden an Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret und der Erinnerung daran hier in Merseburg offenbart, ist so offensichtlich, dass sie beinah sprachlos macht. Was das mindeste und selbstverständlichste sein sollte, den Ermordeten würdig zu gedenken und einen angemessenen Ort dafür zu schaffen, wird hier noch immer verweigert. Damit wird die Verleugnung des Rassismus, den es in der DDR gegeben hat, und der Angriffe und der Toten, zu denen er führte, fortgesetzt. Stattdessen wird der Versuch, durch ein Graffiti an Delfin Guerra und Raúl Garcia Paret und ihre Ermordung bei einer rassistischen Hetzjagd zu erinnern, kriminalisiert.
Wir möchten unsere volle Solidarität mit den drei angeklagten Künstler:innen aussprechen.
Wir schließen uns der Forderung der Initiative 12. August nach einer juristischen Aufarbeitung der rassistischen Morde und nach der Schaffung eines öffentlichen Gedenkortes in Merseburg an.
Es ist absolut beschämend und unwürdig, aber auch sehr bezeichnend, wie sich die Stadtverwaltung Merseburg und die Staatsanwaltschaft Halle verhalten.
Die Behörden und die politische Führung der DDR versuchten rassistische Ausschreitungen aus der öffentlichen Wahrnehmung herauszuhalten und jede Thematisierung zu unterdrücken. Eine Auseinandersetzung mit dem, was nicht dem offiziellen Bild von Völkerfreundschaft und sozialistischen Bruderländern entsprach, mit rassistischen Einstellungen und rassistischen Verhaltensweisen von DDR-Bürgern, sollte nicht stattfinden. Sie wurde verhindert, ebenso wie viele andere Auseinandersetzungen, die notwendig gewesen wären. Das SED-Regime wollte die ideologische Begründung ihrer Herrschaft auf keinen Fall in Frage gestellt sehen und versuchte daher alles zu unterdrücken, was dem nicht entsprach. Der Verweigerung und die Unterdrückung der Auseinandersetzung bedeutet zugleich die Unfähigkeit, strukturelle Ursachen für gesellschaftliche Probleme, wie es Rassismus eines ist, zu bearbeiten. Damit bleiben auch die strukturellen Bedingungen für rassistische Einstellungen unangetastet bestehen und diese selbst existieren unweigerlich fort.
Die Verweigerung und Unterdrückung dieser Auseinandersetzung hat aber mit dem Ende der DDR kein Ende gefunden. Die unterdrückte Geschichte des Rassismus in der DDR wurde erst nach und nach von Historiker:innen herausgearbeitet. Rassistische Einstellungen und rassistische Angriffe und Ausschreitungen sind gerade auf dem Gebiet der ehemaligen DDR nach 1990 so sehr verbreitet, dass die Folgen der Unterdrückung, des Verschweigens und der unaufgearbeiteten Vergangenheit ganz offensichtlich zu erkennen sind. Zugleich zeigt sich aber eine Kontinuität der Verweigerung in der Auseinandersetzung mit Rassismus auch nach dem Übergang in die Ordnung der bürgerlichen Demokratie. Ein Denkmal, um an die aus rassistischen Motiven Ermordeten zu erinnern, wäre das absolute Mindestmaß an Würde, das ihnen entgegenzubringen wäre. Das würde aber als Konsequenz zumindest auch den Versuch der juristischen Verfolgung der nie zur Verantwortung gezogenen Täter:innen verlangen. Der demokratische Rechtsstaat ist selbst jedoch gar nicht so demokratisch und offen, wie er sich gern darstellt. Er ist die Institution einer Form der Herrschaft in kapitalistischen Verhältnissen. Er ist eine Form institutionalisierter Gewalt und der Ausgangspunkt von strukturellen und institutionellem Rassismus. Auch dieser Staat will die Auseinandersetzung mit strukturellen Ursachen gesellschaftlicher Probleme vermeiden.
Aus der Perspektive der Unterdrückten erscheint die Kontinuität der Geschichte als eine Kontinuität der Herrschaft. Nicht nur in diesem Fall, sondern auch in vielen anderen, zeigen sich die staatlichen Institutionen als Apparate der Sicherung und Aufrechterhaltung von Herrschaft und gesellschaftlicher Spaltung. Ein Gedenken an diejenigen, die bei einer rassistischen Ausschreitung ermordet wurden, wird verweigert. Damit wird auch die Auseinandersetzung mit Rassismus verweigert und dessen Eindämmung praktisch unmöglich gemacht. Stattdessen werden Menschen, die sich für die Erinnerung und gegen Rassismus einsetzen, kriminalisiert und angeklagt. Nicht das Problem des Rassismus und dessen strukturelle Ursachen werden zum Anlass der Auseinandersetzung, sondern diejenigen, die darauf hinweisen. Das ist Abwehr durch Verleugnung und Gegenangriff und dieses Verhalten staatlicher Institutionen ist strukturell in ihnen angelegt.
Ob es das Handeln staatlicher Behörden und Institutionen im Zusammenhang der Anschläge in Halle und Hanau ist, die Verstrickungen und das Verhalten staatlicher Apparate im NSU-Komplex, die rassistische Polizeigewalt, das Bekanntwerden immer neuer rechter Netzwerke in Sicherheitsbehörden, die regelmäßige Verharmlosung rechter Gewalt oder die Verfolgung und Kriminalisierung antifaschistischen und antirassistischen Engagements und Protests — an diesen und vielen anderen Stellen zeigt sich eine strukturelle Gewalt, die von diesem System ausgeht. Diesem System, das Rassismus verharmlost und verschweigt, ihn produziert und reproduziert, Antirassismus und Antifaschismus aber kriminalisiert und verfolgt, gilt unser Protest.
Lasst uns Allianzen bilden, um dieses System zu beenden und wirklich demokratische und solidarische Formen des Zusammenlebens aufzubauen.