Barbarische Ordnung
Das sogenannte Institut für Staatspolitik folgt weiter der Methode der Selbstverharmlosung, die dessen Gründer vor drei Jahren als eine von drei Methoden in der Auseinandersetzung um die Deutungshoheit in der Öffentlichkeit vorgeschlagen hat, wenn es angibt, sich bei seiner diesjährigen Sommerakademie konservativer Theorie- und Bildungsarbeit widmen zu wollen. Schon der Name der Einrichtung ist selbstverharmlosend und soll es wie eine seriöse Einrichtung erscheinen lassen, die sich mit konservativer Theoriebildung beschäftigen würde. Ebenso selbstverharmlosend klingt das Thema der gerade stattfindenden Veranstaltung: »Staat und Ordnung«.
Bei einer etwas näheren Beschäftigung mit der Geschichte dieser Begriffe und ihrer Verwendung wird aber sehr schnell deutlich, wie wenig harmlos die Vorstellungswelt ist, die hier verbreitet werden soll. Auch die kurze Beschreibung des Veranstaltungsprogramms zeigt, wie schnell die Methode der Selbstverharmlosung an ihre Grenzen gerät und sich der tatsächliche Charakter der Einrichtung offenbart. Es soll da beispielsweise um einen »Angriff auf die Substanz« gehen, der als »Auflösung aller Dinge« und »Unterminierung jedweder nachhaltiger Substanz« umrissen wird oder um eine »Antiordnung«, die sich mehr und mehr festigen würde. Es ist die Rede von »allgegenwärtiger liberaler Dekadenz und Entortung« und es soll die »Infragestellung der Ordnung durch den anhaltenden und forcierten Legitimitätsverlust des weißen Mannes« thematisiert werden. Staat und Ordnung werden als durch diese aufgeführten Erscheinungen einerseits bedroht aufgefasst und andererseits auch als durch etwas, was als Verlust von Identität beschrieben wird: Identität fände nicht mehr kollektiv statt — »ethnokulturelle Gemeinsamkeiten«, die als »Grundlagen jedweder wirkmächtiger Solidarität« bezeichnet werden, würden abgetragen oder in ihrer Relevanz geleugnet. Als Gegenkonzept zu all diesen bezeichneten Verfallserscheinungen und Verlustprozessen wird schließlich die Begriffskombination »Identität und Solidarität« präsentiert, die Grundlage für ein »gemeinschaftliches und identitätsbezogenes Zusammenleben in einer stabilen Ordnung« sein soll.
Was sich in dieser kurzen Beschreibung des Veranstaltungsprogramms zeigt, ist keine konservative Theorie, sondern es sind die Grundzüge eines modernisierten faschistischen Weltbildes. Es ist rechtsradikale Ideologie, wie sie seit Jahren von diesem Ort aus propagiert wird, der deshalb als das Zentrum der Verbreitung rechtsradikaler Ideologie verstanden werden muss, das es ist. Die ideologischen Vorstellungen, die hier propagiert werden, unterscheiden sich nur rhetorisch von denen, die zu Millionen ermordeter Menschen in Auschwitz und im zweiten Weltkrieg führten, und sie sind die gleichen, die in der Gegenwart rechtsextreme Terroristen dazu bringen, Moscheen anzugreifen und zahlreiche Menschen darin zu ermorden, wie es am 15. März 2019 in Christchurch geschehen ist, und Synagogen anzugreifen, mit dem Vorhaben, die darin befindlichen Menschen zu ermorden, wie am 9. Oktober 2019 in Halle.
Um dieser gefährlichen Ideologie entgegenwirken zu können, ist es unumgänglich diese zu analysieren und zu kritisieren. Diese Notwendigkeit, die nicht mit einer Beschäftigung mit dem Attentäter selbst gleichzusetzen ist, hat sich gerade in dem Prozess gegen den Täter von Halle sehr deutlich gezeigt. Sowohl beim Gericht als auch beim Bundeskriminalamt haben sich dort grundlegende Mängel gezeigt, die ideologischen Motive überhaupt zu erkennen, die den Angeklagten zu Ausführung der Tat motiviert haben. Mit einer solchen mangelhaften Grundlage wird es nicht möglich sein, Antisemitismus, Rassismus und Antifeminismus wirkungsvoll zu bekämpfen.
Das Programm dieser Veranstaltung hier verbreitet genau die ideologischen Grundlagen, die auch den Attentäter von Halle motiviert haben. Es wird hier über die Bedrohung einer »Ordnung« durch einen »forcierten« »Angriff« einer als feindlich gesinnt angesehenen Macht oder Bevölkerungsgruppe geredet, die als liberal und dekadent und in ihrer Wirkung als auflösend und zersetzend dargestellt wird. In dem Text, in dem die Methode der Selbstverharmlosung beschrieben wird, ist in Bezug darauf von den »Verteidigern« eines »Gesellschaftsumbaus« und einer »offenen Gesellschaft« und den »Nutznießern« der Ausbeutung des »fehllaufenden Staates« sowie vom »Establishment« und einer »politisch-medialen Klasse« oder einem »politisch-medialen Komplex der Alteliten« die Rede.
Es wird damit ein manichäisches Weltbild aufgebaut, ein Dualismus zwischen einer zu bekämpfenden zersetzenden Weltanschauung und einer Weltanschauung für die gekämpft werden soll, weil sie angeblich für wirkliche Gemeinschaft und Solidarität stehen würde. Die Vorstellungswelt, die hier konstruiert werden soll, ist leicht als eine zu erkennen, die eng an die Grundmuster faschistischer Ideen und Weltbilder der 1920er Jahre angelehnt ist. Liberalismus und alle damit in Zusammenhang gebrachten Erscheinungen werden als dekadent, zersetzend, auflösend und einer sogenannten »Lebenswirklichkeit der Normalbürger« entgegen gerichtet dargestellt.
Politik wird hier nach dem gegen den Liberalismus gerichteten Modell der Bestimmung von Carl Schmitt als Herstellung einer Freund-Feind-Unterscheidung verstanden und betrieben, die wie bei diesem schließlich in eine Politik der Ermordung und Vernichtung führt. Als Aufgabe von Politik wird hier, wie bei Schmitt, die Herstellung einer Ordnung gesehen, die gleichbedeutend mit einem autoritären Staat ist. Die Orientierung am Antiliberalismus von Schmitt, die hier zu erkennen ist, offenbart eine Form der Antibürgerlichkeit und eine Ablehnung der bürgerlichen Demokratie, die faschistischem Denken eigentümlich ist. Diese politischen Vorstellungen unterscheiden sich grundsätzlich von einer an Marx orientierten Kritik der bürgerlichen Demokratie, der es um eine Ausweitung der Demokratie geht.
Wenn es in dieser Veranstaltung um die »Infragestellung der Ordnung durch den anhaltenden und forcierten Legitimitätsverlust des weißen Mannes« gehen soll, wird deutlich, was für eine Ordnung hier propagiert werden soll, nämlich eine patriarchale und rassistische. Die ideologische Verbindung zum Rechtsterrorismus, wie dem Attentäter von Halle, ist damit offensichtlich. Im Programm des hier angeschlossenen Verlags ist die übersetzte Ausgabe eines Buchs zu finden dessen Original den Titel »Becoming a barbarian« trägt und in dem eine kriegerische Männlichkeit propagiert wird, die wie eine real world Version des aus dem Gaming kommenden »Techno barbarism« wirkt, die der rechtsterroristische Täter in einem seiner Dokumente anführt.
Ebenso offensichtlich befindet sich die Zielvorstellung zu der das Programm hinführt in Übereinstimmung mit faschistischen und nationalsozialistischen Vorstellungen sowie mit rechtsextremen und rechtsterroristischen Vorstellungen. Wenn »ethnokulturelle Gemeinsamkeiten« die »Grundlagen wirkmächtiger Solidarität« und »Identität und Solidarität« die Grundlage für ein »gemeinschaftliches und identitätsbezogenes Zusammenleben in einer stabilen Ordnung« sein sollen, ist klar, dass hier ein ethnopluralistisches und identitäres Konzept von sozialer und staatlicher Ordnung propagiert wird. Es wird die Ideologie verbreitet, ein ethnisch homogener Nationalstaat sei die Grundlage gesellschaftlicher Solidarität. Der Verwendung neuerer Begriffe, wie Ethnie oder Identität, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dabei im Kern um eine Vorstellung geht, die im Nationalsozialismus als die einer Volksgemeinschaft bezeichnet wurde. Der Begriff Identität stellt klar einen Bezug zur sogenannten »Identitären Bewegung« her, zu der diese Einrichtung ja ohnehin enge Beziehungen hat. Im Programm des Verlags befindet sich auch ein Buch mit dem Titel »Solidarischer Patriotismus«, das die soziale Frage von rechts beantworten soll. Diese Begriffskombination, die auch von Höcke verwendet wird, ist eine weitere Umschreibung für das selbe Konzept. Es ist eine Ideologie, die zu Ausschluss und Vernichtung führt.
Zu Ausschluss und Vernichtung führt auch die ideologische Vorstellung vom »Großen Austausch«, die in einem weiteren Buch des hier ansässigen Verlags propagiert wird und der die »Identitäre Bewegung« ebenso folgt wie die rechtsterroristischen Attentäter von Christchurch und Halle. Diese Vorstellung, die zudem mehr oder weniger offen antisemitisch ist, ist eng verbunden mit den Vorstellungen von gesellschaftlichen Verfallserscheinungen und von bewusst vorangetriebenen Prozessen des Identitätsverlusts. Diese Einrichtung hier propagiert einen existenziellen Kampf für eine ethnisch und kulturell homogene autoritäre Staatsordnung, den auszuführen sich unter anderem Rechtsterroristen berufen fühlen. Ein konsequentes Vorgehen gegen Antisemitismus, Rassismus, Antifeminismus und rechten Terror ist daher nicht denkbar ohne ein Vorgehen gegen dieses Zentrum rechtsradikaler Ideologie.