Tag 21 im Halle-Prozess

Zu Beginn des 21. Verhandlungstags wird sich entscheiden, ob @Matthias_Quent als Sachverständiger aussagen wird, um über Rechtsextremismus, Imageboards und rechte Rekrutierung zu sprechen. Das hatte der eigentlich zuständige BKA-Beamte wegen unzureichender Kenntnisse versäumt.

Die GBA schließt sich am Anfang dem Antrag an, die antisemitische Äußerung des Täters zu protokollieren. Dazu führt der Vertreter noch einmal mehrere Urteile an und zeigt, dass es klare Hinweise gibt, dass es sich dabei um eine Straftat handeln könnte.

Verteidiger Weber ordnet die Aussage als Verteidigung des Angeklagten ein. Dies hätte er auf seine Art und Weise getan.

@Matthias_Quent ist bereits im Gerichtssaal, als die GBA auf einige vermeintliche formale Fehler des Antrags hinweist, ihn zu hören. Der Vertreter fasst das mit den Worten zusammen „es erscheint ein Gast zu einer ungünstigen Zeit“ und man müsste überlegen ob man ihn hineinbittet.

@RPietrzyk kann die formalen Bedenken sehr schnell abweisen und @raahoff weist nochmal darauf hin, dass eine Aussage von @Matthias_Quent zuträglich wäre, da das BKA nicht überzeugen konnte.

@raahoff merkt an, dass eine „ungünstige Zeit“ keine Rolle spielen sollte. Das BKA war oft nicht sachverständig, hat Verbindungslinien nicht gesehen und häufig wurden nur „bemühte Sachbearbeiter“ einberufen.

@Matthias_Quent geht in seiner Aussage noch einmal sehr genau auf die Verbindung der internationalen rechtsterroristischen Terroranschläge ein. Dabei hebt er hervor, dass die Verschwörungserzählung des „Großen Austauschs“ ein verbindendes Element dieser Taten ist.

Diese findet sich jedoch nicht nur bei diesen Attentätern, sondern wird auch von Vertretern der „neuen Rechten“, IB und Teilen der AfD propagiert. Dabei kann es immer in unterschiedlichsten Formen erscheinen. Alle eint, dass sie auf ein antisemitisches Narrativ hinauslaufen.

Dieser Austausch soll von „den Eliten“ oder ganz offen „den Juden“ organisiert sein. Die Konstruktion einer von äußeren und inneren Feinden angegriffenen „Volksgruppe“ findet sich unter anderem schon sehr klar im NS Faschismus.

In der Ideologie ergeben sich zum einen Menschen, die als Feinde wahrgenommen werden. Diese werden aus rassistischen und antisemitischen Vorstellungen ausgeschlossen. Er weist darauf hin, dass dies aber auch ausgeweitet werden kann auf weitere Gruppen.

Dabei hebt er hervor, dass auch Walter Lübcke als ein solcher Feind markiert wurde. Durch die Gewalt und Bedrohung sollen diese Feinde auch aus der Gesellschaft ausgeschlossen oder vernichtet werden.

Die zweite Gruppe sind Verbündete oder Gleichgesinnte. Für diese hätten solche Taten einen Sendungscharakter. Das gilt auch, wenn die Tat nicht vollständig ausführt wird. Dies wird vom Täter als zweitwichtigstes Motiv der Tat benannt.

RAin Levin fragt, inwieweit die Ablehnung der Tat in der Gesellschaft auch als Scheitern der Tat gewertet werden kann. In seiner Antwort geht er darauf ein, dem Täter keine Bühne zu geben und damit den Reiz der Aufmerksamkeit zu verhindern.

Auf eine Rückfrage, inwieweit er die Radikalisierung in der Familie einschätzt, sagt er, dass man nicht anhand der zerrütteten Familienverhältnisse Rückschlüsse ziehen sollte aber vor allem Antisemitismus und white supremacy Ideologien oft zwischen den Generationen weitergegeben werden. So äußerte sich auch die Mutter des Täters mehrmals antisemitisch. In der Befragung des Umfeld zeichnete sich auch ein Bild, in dem Alltagsrassismus und antisemitische Äußerungen zumindest toleriert werden.

RA Goldstein fragt nach, inwieweit die Tat in Beziehung zu zB Oslo oder Christchurch gesetzt werden kann, da es deutlich weniger Opfer gibt. Quent stellt neben dem Töten von Menschen heraus, dass es auch um den Sendungscharakter solcher Taten geht.

Auf die Frage, wie man solche Taten verhindern kann, geht er auf drei Ebenen ein: die gesellschaftliche Ebene, in welcher Antisemitismus keine Basis haben darf. Des Weiteren einer gezielten Repression gegen organisierte rechte Strukturen und zum Dritten eine Sensibilisierung im eigenen Umfeld. Unter anderem kann der Besitz und Erwerb von Waffen radikalisierend wirken. Oder dass Rassismus unwidersprochen bleibt im familiären Umfeld.

@RPietrzyk fragt gezielt nach dem Begriff des „lone wolf“ im Bezug zum Halle Attentat oder ähnlicher Taten. Er merkt an, dass dies eine Selbstbezeichnung aus dem rechten Spektrum ist und hier auch die Beschreibung einer Taktik ist.

Er bevorzugt den Begriff „lone actor terrorist“. Dieser schließt sowohl die direkte Unterstützung durch Gruppen und eine diffuse Unterstützung durch ein gesellschaftliches Klima nicht aus.

Nach dem Verlesen von Anträgen ist die Beweisaufnahme geschlossen. Als nächstes folgte der Abschluss Vortrag der GBA.

Dem Schlussvortrag stellt die GBA einige Bemerkungen voran. Bundesanwalt Lohse beschreibt die Tat als einen Albtraum. Die Tat sei zutiefst antisemitisch und zielte auf jüdisches Leben in Deutschland. Das bedeute einen Angriff auf uns alle.

Auch weil die Tat darüber hinaus auch rassistisch und frauenfeindlich gewesen sei. Dass sich die Tat gegen „uns“ alle richtet, zeige auch der Angriff auf den Kiez Döner.

In dem Vortrag benennt auch er die wichtige Rolle der Nebenklage. Diese hätte sich „stark eingebracht“ und er hätte ein „jetzt erst recht“ bei den Beteiligten wahrgenommen. Das stimmt, jedoch kann nicht klar genug gesagt werden, dass sehr viele Erkenntnisse im Verfahren nur durch die aktive Gestaltung der Nebenklage im Gericht vorgekommen sind. Sachverständige wurden nur durch Anregung der Nebenklage gehört und ohne die unglaublich starken Aussagen der Nebenklage wäre die gesellschaftliche Dimension der Tat nicht so deutlich geworden.

Weiter heißt es dann in seinem Vortrag, dass es in dem Verfahren eben nur um Tat und Täter gehe und man sich eben nicht in „Randthemen“ oder „Nebenschauplätzen“ verlieren dürfe.

So sei durch die Arbeit des BKA alles aufgeklärt und die Hintergründe ermittelt. Die geäußerte Kritik an den Ermittlungsergebnissen hätte keine Grundlage. Nur zu Erinnerung: eine Ermittlungsmethode war : Songtitel + Nazi? zu googeln=Treffer -> rechtes Lied

Danach führt er in verschiedensten Formen aus, warum von einem Einzeltäter zu sprechen ist. Jedoch zieht auch er Verbindungen zu anderen rechten Terroranschlägen und geht auf deren Verbindung ein.

Für ihn besteht die Ideologie des Täters aus Ausschlüssen und White Supremacy. Darüber hinaus sieht auch er die am Anfang genannten Ideologien als voll umfänglich durch den Täter vertreten.

Staatsanwalt Birkenholz schildert noch einmal den Tathergang wie er sich für die GBA nach der Beweisaufnahme darstellt. Die werden wir jetzt hier nicht wiedergeben.

Bundesanwalt Schmidt führt dann aus, dass sich auch durch die Beweisaufnahme nichts an ihrer Einschätzung geändert im Bezug auf Ismet Tekin und Aftax Ibrahim geändert hat. Sowohl die Aussagen als auch die verschiedensten Gutachten hätten daran nichts geändert.

Die GBA geht davon aus, dass der Täter voll schuldfähig ist habe im Verfahren immer wieder deutlich gezeigt, dass er keinerlei Reue hat. Viel mehr habe er immer wieder Opfer verächtlich gemacht und sich zu den Taten offen bekannt.

Bei @valentinhacken_ findet ihr neben einem sehr umfangreichen Thread auch alle einzeln angesetzten Strafen und die abschließende Forderung der GBA: https://twitter.com/valentinhacken_/status/1329083776152915974

Auch wenn viele Teile des Vortrags positiv aufzufassen sind, gibt es Vieles, das uns heute ratlos bis wütend zurücklässt. So wird zurecht bei allen 5 eingesetzten Polizisten auf der Ludwig Wucherstraße von verbuchtem Mord ausgegangen, d.h. nicht nur bei den drei die sich in einem direkten Schusswechsel mit dem Täter befanden, sondern auch den beiden, die sich in einem Zivilfahrzeug am rechten Fahrbahnrand befanden und nicht direkt beschossen wurden.

In seiner Schilderung des Tathergangs wird dann zwar benannt, dass sich Ismet Tekin ducken musste. Auch wurden Munitionsteile in seiner Nähe sowie Einschüsse sichergestellt. Dabei sei jedoch nicht zu klären, von welchem Schuss diese stammen und das direkte Zielen auf Ismet Tekin sein nicht im Video zu sehen.

Im Bezug auf Aftax Ibrahim sieht die GBA auch immer noch keine Änderung. Sie sieht in dem Fahrbahnwechsel immer noch nur den Versuch, flüchten zu wollen. Die aus der Straßenbahn herausgetretenen Personen hätten die Straße versperrt und nur deswegen hätte der Täter die Fahrbahn gewechselt.

Dass auch Aftax Ibrahim und seine Begleitung die Straße nach dem Aussteigen überquert haben und er eben bewusst auf sie zugehalten hat, erkennt sie nicht an. Es wird auch noch einmal explizit erwähnt, dass der Täter zwar ein Lied das das Attentat in Toronto verherrlicht am Anfang seiner Tat abspielte, man dies aber in keine Beziehung zu dem Geschehenen setzen könne.

Die Beweisaufnahme hat jedoch gezeigt, dass der Täter andere Attentate sehr bewusst studiert hat und auch Autos immer wieder von Rechten als Waffe eingesetzt werden. Dies sollte der GBA eigentlich bekannt sein. Ab dem 1. Dezember wird die Nebenklage mit ihren Abschlussvorträgen beginnen.